Das dichterische Werk Sri Chinmoys

Sri Chinmoy führte ein außerordentlich aktives Leben und war unter anderem ein Schriftsteller von großer Produktivität. Seine Schriften umfassen Essays, Vorträge, Geschichten, Theaterstücke und Gedichte.

Am 13. April 1964 kam Chinmoy Kumar Ghose in New York an und arbeitete danach für einige Zeit in der Pass-und Visaabteilung des indischen Konsulats. Seit 1965 erschien zweimonatlich seine eigene Zeitschrift "Aum Magazine". Am 4. Oktober 1965 gab Sri Chinmoy seinen ersten öffentlichen Vortrag und am 20. März 1966 sein erstes Konzert im indischen Kulturzentrum in New York. 1967 erschien er zum ersten mal im Fernsehen, gab sein erstes Radio-Interview und in der "New York Sunday News" erschien der erste Artikel über Sri Chinmoy. Damit hatte ein öffentliches Wirken seinen Anfang genommen, das in Inhalt und Umfang kaum zu überlicken, geschweige denn darzustellen ist.

Sri Chinmoys Lyrik umfasst zehntausende von Einzelwerken in weit über 600 Bänden. Die Veröffentlichung erfolgte zumeist durch Verlage und Druckereien seiner New Yorker Meditationsschüler. Ein äußeres Merkmal seines Gesamtwerks sind riesige Gedichtzyklen wie die "10 000 Flower-Flames" (22. Oktober 1979 bis 3. Juli 1983), die "27 000 Aspiration-Plants" (10. Juli 1983 bis 24. Januar 1998) oder die – allerdings unvollendet gebliebenen – "77 000 Service-Trees" (begonnen 1998). 1973 setzte es sich Sri Chinmoy zum Ziel, innerhalb eines Jahres eintausend Gedichte zu schreiben. Doch die Reihe "The Dance of Life" war nach 13 Wochen bereits fertig. Der letzte Zyklus, den Sri Chinmoy noch vollendete, trägt den Titel "My God-Hunger-Cry" (Gedichte für jeden Tag vom 1. Oktober 2005 bis 1. November 2007). Neben den großen Zyklen stehen die zahllosen kleineren Bände als beeindruckende Ergänzung.

Sri Chinmoys lyrischer Stil reicht vom äußerst verdichteten Aphorismus im Stile der Haikus bis hin zu langen, ausladenden Gedichtlandschaften. Er ist wandelbar und innovativ und genau das ist ein wesentliches stilistisches Merkmal. Sri Chinmoy schöpft die englische Sprache neu und er schöpft ganz konkret neue Worte, indem er bekannte Worte zu Wortketten aus zwei, drei, vier und mehr Gliedern verbindet, eine in der englischen Sprache mögliche, aber in dieser Form sehr ungewöhnliche Technik. Der Leser dieser Lyrik sollte auch bedenken, dass Sri Chinmoys Muttersprache das Bengalische ist, nicht das Englische, und umso größer ist die Verwunderung über Sri Chinmoys sprachliche Meisterschaft. Seine literarischen Werke - von den Gedichten bis zu den Universitätsvorträgen - zeugen von einer mühelosen Beherrschung verschiedenster Stilebenen sowie von einem riesigen aktiven Wortschatz. Man scheint ein stilistisches Panoptikum vor sich zu haben, das von den Sehern der vedischen Vorzeit über die griechische Antike und die englische Romantik bis in die allerneueste Zeit reicht, und dabei weit in die Zukunft weist.

Sri Chinmoy ist stets ein Dichter des Bhakti, der Gottesliebe und Gotteshingabe. In dieser Hinsicht steht er in einer langen indischen Tradition, zu der unter vielen anderen auch sein bengalischer Landsmann Rabindaranth Tagore (Literaturnobelpreis 1913) gehörte. Gott und die Welt, Leben und Tod, die Seele, der Sucher und seine vielgestaltigen inneren Erfahrungen, das sind die Themen der Lyrik Sri Chinmoys. Die Bilder, die er verwendet, sind jedoch oft von dieser Welt, und so entsteht bei aller Höhe eine Lyrik, die uns nahe ist, die den Leser im Herzen anspricht und erhebt. Eine tiefe Brüderlichkeit spricht aus dem Werk Sri Chinmoys.

Immer schon waren in der Geschichte der Literatur das Gedicht und das Lied eng miteinander verwandt. Lieder entstanden aus Gedichten oder das Gedicht selbst erhob sich zum Klang, zum Gesang ohne Töne. Der Dichter und der Sänger waren in vielen Traditionen ein und derselbe Künstler. Sri Chinmoy komponierte zeit seines Lebens über 13 500 bengalische und circa 7000 englische Lieder, die er auch selbst immer wieder öffentlich aufführte. All diese Lieder sind wiederum formvollendete Gedichte und insbesondere die bengalischen Dichtungen sind in dem langen Katalog seiner Lyrik noch gar nicht enthalten.

This heart remains awake

My world is for Your Feet.
My life is for Your Dream.
O Silence of Infinity,
O Immortality of Heaven,
Come, come, come.
This heart remains ever awake.

Dies Herz harrt wachend aus

Meine Welt gehört Deinen Füßen.
Mein Leben gehört Deinem Traum.
Oh Stille der Unendlichkeit,
Oh Unsterblichkeit der Himmel,
Kommt, kommt, kommt.
Dies Herz harrt wachend aus.

Aus: Sri Chinmoy - "The Garden of Love-Light" (1974)