Melancholische Bilderwelt bei Basho, Yeats und Chinmoy

...aus..."Simplicity and Power: The Poetry of Sri Chinmoy 1971-1981"


Es ist dieselbe Prozedur, welche die Haiku Schriften japanischer Tradition unterscheiden. Basho und andere balancieren erfolgreich unsere äussere Aufmerksamkeit, zum Beispiel, an dem Punkt, wo unsere äussere Vorstellung auf eine innere Reaktion stösst. Der Haiku-Poet malt die äussere Situation allgemein in einigen wenigen, schnellen und oft symbolischen "Pinselstrichen." Der Charakter der inneren Reaktion des Lesers ist unerwartet und umgehend. Das Ergebnis ist eine Vereinigung von Blitzideen und Teile in einem einzelnen, scharfen Bild. Das besondere Merkmal des Haiku ist, dass die Vereinigung zum grössten Teil im Verstand des Lesers passiert. Der Poet fügt die Formulierung für diese Erfahrung in seine Auswahl von quintessentiellen Details, jedoch beobachtet er, was Nortrop Frye bezeichnet als

"...eine Konvention reiner, projizierter Unberührtheit, in der ein Bild, eine Situation oder eine Befindlichkeit mit all ihrer Vorstellungskraft beobachtet, nach aussen und weg vom Poeten geworfen wird."

Es ist die phantasievolle Kollaboration des Lesers mit den Worten, die der Erfahrung hinzugefügt werden muss. Indem er es tut, nähert er sich dem Ausgangsmoment der Erkenntnis des Poeten.

Die folgenden drei Haiku von Basho illustrieren dieses Meisterprinzip. Es möge darauf hingewiesen sein, dass alle drei Haiku das Gefühl von Melancholie auf ihre eigene Weise widerhallen, wie von Sri Chinmoy zum Ausdruck gebracht:


"Yamiji kite/namiyara yukashi/sumire-gusa."

Dem Bergweg folgend,
Erfüllen Veilchen mein Herz
Mit unbeschreiblicher Sehnsucht.


"Uki ware o/sabishigara seyo/kankodori."

Überwältigend meine Melancholie
Mit der Einsamkeit deiner Nachricht
O Kuckuck!


"Kono aki wa/naude toshiyoru/kumo nitori"

Warum werde ich älter
In diesem Herbst?
Ein Vogel fliegt zu den Wolken.


In diesen winzigen Gedichten wird die Aufmerksamkeit des Lesers nach aussen zu einem prächtigen, symbolischen Detail – Veilchen, der Kuckucksgesang, ein Vogel im Flug. Hier operiert dieselbe Fähigkeit, wie in Sri Chinmoys Gedicht mit seiner intensiven Konzentration auf den Mond, die Lieder und die Vögel. Die Details selbst sind überschwenglich auf Grund ihrer extremen Konzentration, so dass sie zum Merkmal oder Wappen für eine innere Verfassung werden können, die letzlich nicht ausdrückbar ist. Die Vorstellung eines Vogels, der in die Wolken fliegt oder jenseits des Horizontes "zu einem unbekannten Land" ist mit der Traurigkeit des Vergänglichen getönt. Durch Untertreibung lassen die Poeten ein Spiel expressiver Zeichensetzung des Schweigens zu. Durch Wirtschaftlichkeit und Unterlassung laden Weite und Intensität ein.


Ein interessanter Vergleich in Sachen poetischer Prozedur im Umgang mit Verzweiflung und Traurigkeit wird von einem Poeten wie Yeats bereitgestellt. In seinem Gedicht "Die wilden Schwäne von Cool" benützt auch er natürliche Formen, in diesem Beispiel Schwäne, um eine komplexe, innere Reaktion zusammenzufassen.


Am Beginn des Gedichtes ist der Poet ein passiver, unleidenschaftlicher Beobachter.


Die Bäume stehen in ihrer herbstlichen Schönheit,
Das Hügelland ist trocken,
Im Zwielicht des Oktobers
Spiegelt das Wasser einen stillen Himmel;
Im sprudelnden Wasser zwischen den Steinen
Sind neun-und-fünfzig Schwäne.


Wie auch immer, in Kontemplation auf die Schwäne im Wasser füllt sich das Bild mit der Erinnerung von Bewegung und Klang:


Ich sah, noch bevor ich endete,
Alle plötzlich aufsteigen
Und Kreise hinterlassen
Durch ihre lärmenden Schwingen
In grossen, gebrochenen Ringen.


Jedes erinnerte Detail des Schwanenfluges verbraucht sich selbst an der Sensibilität des Poeten mit übermässiger Kraft. Diese Details ergänzen nicht einfach nur seinen Gedankengang – sie kontrollieren und führen ihn. Durch das Ergreifen seiner Vorstellung in einem Schwall von Farbe und Klang, wird er zu einer Stufe des Selbstgewahrseins geführt, in der er den Fortschritt seines eigenes Lebens mit dem der Schwäne misst. So wie sie in eimem zeitlosen Moment auf dem stillen Wasser treiben, oder in ewiger Geste über seinem Kopf kreisen, scheinen sie an einem ewigen Leben der Jugend und Liebe teilzuhaben, das ihm versagt ist. Der Poet erinnnert sich plötzlich an seine eigene Sterblichkeit und an den Tod. Ein Gefühl grenzenloser Verzweiflung in Stille zieht sich über die letzten Verse des Gedichtes.


I have looked upon those brilliant creatures,
And now my heart is sore.
All's changed since 1, hearing at twilight,
The first time on this shore,
The bell-beat of their wings above my head,
Trod with a lighter tread.







Unwearied still, lover by lover,
They paddle in the cold
Companionable streams or climb the air;
Their hearts have not grown old;
Passion or conquest, wander where they will,
Attend upon them still.

But now they drift on the still water,
Mysterious, beautiful;
Among what rushes will they build.
By what lake's edge or pool
Delight men's eyes when I awake some day
To find they have flown away?


Dieses Gedicht möge sichtbar machen, dass Yeats einige essentielle, lyrische Merkmale entwickelt, die wir hier diskutiert haben: der Rückzug der Persönlichkeit zu Gunsten der "Gegenwart"; die Isolation des lyrischen Moments in einer "zeitlosen" Gegenwart; die reine Präsentation des Gefühls im Dienste des Zusammenhangs eher als die Geschichte und die symbolische Transformation externer Details. Durch eine Serie impressionistischer Vorschläge erreicht Yeats diese letztendliche Qualität, die Metarmorhose der Schwäne als Emblem der Unsterblichkeit. Die Schwäne werden weiterhin halb oder als ein anderes Objekt gesehen. Im Himmel, zum Beispiel, erscheinen sie als "kreisend in grossen, gebrochenen Ringen", eine meisterhafte Synthese aus visueller und musikalischer Vorstellung. Auf dem See "treiben" sie, Paare in erstarrter Szene. Unsere Sicht ist ungezielt, ein Effekt, der sie von mystischer Schönheit umgeben sein lässt.


Vergleiche Basho:


"Umi kurete/kamo nokoe/honokani/shiroshi"


Das Meer färbt sich dunkel;
Die Stimmen wilder Enten
Schwach-weiss.


Das brilliante Zusammenspiel von Farbe und Klang im Bild des Geschreies der wilden Enten gibt dem Gedicht weiten, inneren Spielraum. Im Bereich einer einzelnen Metapher fing er die hohen und schrillen Schreie ein, die von Ferne über den dunklen Ozean pulsierend, den Poeten erreichen. Nichts mehr ist nötig für einen verlorenen Sinn von etwas, das gegen die weiten Kräfte ringsherum kämpft – "die schwach-weissen" Schreie der Enten verschwinden hilflos im Dunkel.


Dies spricht von einem Inhalt tiefer Bedeutung. Viele von Sri Chinmoys Gedichten beinhalten diese Methode, den delikaten, undefinierbaren Sinn des Lebens auszudrücken.

Von allen Gedichten der Verzweiflung ist das folgende ein Beispiel pathetischen Charmes, der aus des Menschen Hinterfragen der unabänderlichen Naturgesetze hervorgeht:


Die Wolken segeln zu einer unbekannten Welt,
Reich geschmückt mit vollkommener Schönheit.
Ein lächelndes Gesicht begleitet sie.
Die Wolken segeln zu einem unbekannten Reich.
O Himmel, sag mir wohin die Wolken segeln,
Ich frage dich mit tränenerfüllten Augen.
O Himmel, wirst du mein Leben
So schön und wundervoll machen
Wie das der Wolken?
O Himmel, sag mir wohin die Wolken segeln.


Die Schönheit des Unerreichbaren hat hier das Leben des Poeten eingefangen. Es ist die Perspektive eines Kindes von äusserster Einfachheit, die er annimmt, während er die Wolken bittet und ihnen sehnsuchtsvoll nachschaut – ein Kind, verstossen von seinen Spielkameraden. Ihm gehört die Welt der Wunder und Phantasie, in der sich ein strahlendes Gesicht hinter den Wolken verbirgt, in der die Wolken selbst zum Spielzeug werden, weit hinaussegelnd ins unermessliche Blau. Seine Augen waren tränenerfüllt; die Tränen eines frustrierten Kindes, dass versucht, die Wolken anzurufen und sie antworten zu lassen, und die seelenvollen Tränen des phantasiereichen Künstlers, der in den Wolken eine unergründliche, tief bewegende Schönheit sieht. Die Verzweiflung dieses Gedichtes ist die Verzweiflung der Unschuld und unschuldiger Sehnsucht. Keine sozialen Beziehungen und persönlchen Umstände können die Magie der über unseren Köpfen vorüberziehenden Wolken zerreissen.