Die Bedeutung des Parallelismus in der Lyrik Sri Chinmoys

...aus..."Simplicity and Power: The Poetry of Sri Chinmoy 1971-1981"

Sri Chinmoy legt seiner emotionalen Verve bisweilen Zügel an und erhöht dadurch die Dramatik. Diese Taktik der Zurückhaltung wird von ihm auch verwendet, um seinen bisweilen mehrdeutigen Ton zu verschleiern. Im folgenden Gedicht beispielsweise, ist seine "Dialektik der Reinigung" der kraftvolle Ausdruck einer ebenso ironischen wie kompromisslosen Vision:

ANCIENT AND MODERN SPLENDOURS

Three are the splendours
Of the ancient world:
Faith-moon,
Concern-sky,
Sacrifice-sun.

Three are the splendours
Of the modern world:
Indifference-house,
Doubt-walls,
Suspicion-gate. (p.87)

Der Dichter spielt hier auf die Vorstellung von den sieben Weltwundern des Altertums an, um dann einen beißenden Kommentar auf den modernen Glaubensverlust zu formulieren. Durch Naturbilder von Dauerhaftigkeit, Weite und Schönheit ("the moon", "the sky", "the sun") gelingt dem Dichter mit wenigen Pinselstrichen das Portrait einer naturnahen und ausladenden Spiritualität. Im Gegenlicht dazu lesen wir gezwungenermaßen in den Wundern ("splendours") der zweiten Strophe eine scharfzüngige Kritik an der Beschränktheit und Endlichkeit des modernen hochtrabenden Geistes, der sich bereitwillig hinter seine Barrikaden aus Gleichgültigkeit ("indifference"), Zweifel ("doubt") und Verdächtigungen ("suspicion") zurückzieht.

Der Dichter macht eine klare Unterscheidung zwischen den letzteren Bildern von Verschlossenheit und Undurchdringlichkeit und den ersteren Bildern himmlischer Freiheit. In diesem Fall verleiht die Antithese der verwendeten Parallelkonstruktion zusätzlich Nachdruck und Wucht. Die verwendeten Bildpaare wären nicht weiter zu verkürzen, sie sind aufs äußerste verdichteter Ausdruck. Sri Chinmoy hat hier die Anforderungen der Parallelstruktur ganz genau beobachtet und die Gelegenheit ergriffen, alle unnötigen formalen Bestandteile wegzukürzen: das Spiel der Gegensätze steht als harter blitzartiger Abtausch vor uns.

An dieser kurzen Untersuchung einer Reihe von Gedichten aus der Sammlung „Europe Blossoms“ sollte gezeigt werden, dass der Parallelismus (sowohl der syntaktische wie der gedankliche) eines der wichtigsten Stilmittel in der Lyrik Sri Chinmoys ist. Der Dichter scheint eine elektrische Affinität zu dieser rhetorischen Form zu haben, so sehr, dass sie ihm beinahe eine eigene Art des Denkens wird. Valerys Satz,

"a man is a poet if his imagination is stimulated by disciplines"[30]

der Mensch ist ein Dichter, wenn seine Vorstellungskraft durch Disziplin angeregt wird

wird hier ein weiteres mal bestätigt. Und was daraus entsteht, ist eine enorme Würde und Kraft der Form.

Man kann den Parallelismus nicht nur als oberstes formales Prinzip in Sri Chinmoys Lyrik betrachten, sondern auch als eines seiner wichtigsten schöpferischen Prinzipien. Er verleiht dem Dichter ein Mittel, eine Empfindung oder einen Gedanken von verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Mit jeder Fortschreitung kann er seine Aussage ausweiten und klarer konturieren, so dass das Gedicht heranwächst aus einer Serie von Annäherungen in Bedeutungs- und Farbnuancen. Dies ist die Methode, mit der der Dichter die Abweichung minimiert zwischen seiner Welt der inneren Schau und seinem äußeren Ausdruck. In einer Epoche, in der die Sprache als unzureichendes Ausdrucksmittel für die tiefsten Wahrnehmungen des Menschen gilt, ist diese Technik von großem praktischen Nutzen. Sie mag schlussendlich zu dem werden, was Ruth Roberts als

"a great protector of meaning." [31]

einen mächtigen Wächter der Aussagekraft

bezeichnet.

Ein zweiter großer Vorzug des von Sri Chinmoy eingesetzten Parallelismus ist, dass er es erlaubt, eine bestimmte Wirkung zeitlich auszudehnen. Die Kraft eines Gedankens oder einer Wendung bleibt vor dem Leser bestehen und wirkt dann unmerklich in seiner eigenen Vorstellungswelt fort. Man ist versucht, zu verallgemeinern, dass jeder Effekt von Resonanz in der Lyrik auf irgendeinem Prinzip von Wiederholung beruht, sei sie semantischer, phonetischer oder gedanklicher Natur. Nach Barbara H. Smith ist dies

"the fundamental phenomenon of poetic form." [32]

das grundlegende Phänomen jeder dichterischen Form.

Ein dritter Vorteil der Parallelstruktur ist die ihr innewohnende Ähnlichkeit zur Logik des menschlichen Denkens, wodurch sie letztlich der Kohärenz und Verständlichkeit dient. Die Anwendung philosophischer Logik in der Lyrik muss keineswegs, das haben diese Gedichte gezeigt, ein Spiel kalter Abstraktionen sein. Sie ist viel eher ein Element der Suche nach der bestmöglichen Anpassung von Worten an ihr Thema, an die Kunst der Kommunikation, an die betörende Schönheit der Rhetorik. Rhetorik umfasst sowohl die philosophische als auch die poetische Form des Ausdrucks, sie benutzt beiderlei Möglichkeiten als Wege des Ausdrucks.

Betrachtet man es schließlich im Zusammenhang der improvisierten Lyrik, so findet der rhetorische Parallelismus bei Sri Chinmoy Verwendung, um den Anforderungen seines Themas gerecht zu werden. So wie Homer eine Reihe von Formulierungen und Schemata bereithielt, um den Fluss seiner Erzählung zu vereinfachen, so bringt Sri Chinmoy verschiedene außergewöhnliche paradigmatische Modelle ins Spiel - etwa Sequenzen von Zeit, Farbnuancen und menschlichen Eigenschaften - um den Umgang mit einer besonderen emotionalen oder spirituellen Situation zu erleichtern. Als Künstler gelingt es ihm, diese Modelle oder Formeln in die lebendige Textur seiner Verse so einzufügen, dass der Leser eine vollkommene Mischung aus Vertrautem und Unerwartetem antrifft. Über diese Technik schreibt C.M.Bowra:

Most formulae are traditional and familiar, and their very familiarity makes the audience feel at home and know in what world of imagination it is moving [...] The formulae come to be liked for their own sake as old friends.[33]

Die meisten Ausdrucksformeln sind traditionell und vertraut, und gerade ihre Vertrautheit erzeugt beim Zuhörer ein Wohlgefühl und zeigt ihm zugleich an, in welcher Sphäre der Imagination man sich bewegt [...] Man erfreut sich an diesen Formeln um ihrer selbst willen, so wie an alten Freunden.

Für den mündlich Dichtenden ist das wichtigste nicht die Selbstbegegnung sondern der Ausdruck, der öffentliche Ausdruck unter dem "Stress" der schnellen Komposition. Ihm werden die gewohnten Formen allgemein verständlicher Sprache deshalb zu grundlegenden Werkzeugen.

Als mündlicher Dichter, als ein stark rhetorisch arbeitender Dichter und als spiritueller Dichter ist Sri Chinmoy zugleich kühn und tiefschürfend, sensibel und pragmatisch. Seine Begabung reicht über das Schaffen verständlicher Strukturen des Ausdrucks weit hinaus, denn dahinter liegt die tiefere Fähigkeit, Erfahrung zu "organisieren", die Wahrheit aus verschiedenen Perspektiven zu sehen und seine Leser einzuladen, an dieser inneren Erfahrung teilzuhaben.

Welche Übereinstimmung existiert zwischen poetischer Symmetrie und universeller Wahrheit, dass der menschliche Geist so intuitiv darauf antwortet? Welche Kraft wohnt einer Parallelstruktur inne, dass sie so energiegeladen vor uns liegt wie eine Sprungfeder? Trotz der Verwendung fester Formeln, welch schwer zu greifende Schönheit des Stils, ganz dem mündlichen Dichter zueigen, verleiht seinen Liedern eine Spontaneität, das Gefühl, etwas zum allerersten mal zu hören? Liest man Sri Chinmoys Lyrik, so drängen sich solcherlei Fragen immer von neuem auf. Sicher ist jedenfalls, dass das Zeitalter der Rhetorik nicht, wie De Quincey schon vor langer Zeit behauptet hat, in völlige Vergessenheit geraten ist.

[30]Q. by Peter Viereck, „Strict Form in Poetry: Would Jacob Wrestle With a Flabby Angel?“ Critical Inquiry, 5 (Winter 1978) p.214.
[31]„Old Testament Poetry: The Translatable Structure“ PMLV, Vol. 92:5, p.997. This article refers to several of the points established here.
[32]Poetic Closure (Chicago: University of Chicago Press, 1970), p.38.
[33]Bowra, p.231.