Sri Chinmoys Arbeit mit zusammengesetzten Begriffen IV

...aus..."Simplicity and Power: The Poetry of Sri Chinmoy 1971-1981"

Sowohl bei Hopkins als auch bei Sri Chinmoy resultiert die Stärke der zusammengesetzten Wörter in einer Dichte des poetischen Mediums und das wiederum verlangt vom Leser eine aktive Teilnahme. In der Tat scheint in einigen Gedichten schon das Bemühen des Vestehens eine Art spirituellen Wachstums zu bedeuten. Betrachten wir in diesem Licht das folgende Werk:

TO SERVE MY MAKER-LORD

To serve my Maker-Lord
I saw the light of day
To love my Beloved Friend
I began our oneness-play. [48]

Die Textur des Gedichts ist fließend, die Einfachheit der Diktion ist von durchscheinender Klarheit. Erst wenn wir beginnen, dem Gang der Gedanken durch das Gedicht hindurch zu folgen, werden wir uns der feinen spirituellen Vielschichtigkeit bewusst.

Das Gedicht fußt auf zwei zentralen Handlungen: dienen und lieben. Seinem „Maker-Lord“ erweist das lyrische ich Dienst, und es anerbietet seinem "Beloved Friend" die Liebe. Die großgeschriebenen Worte erkennen wir als Attribute Gottes. Die Wortverbindung "Maker-Lord" enthüllt den Aspekt einer Vaterfigur - majestätisch, groß, entfernt. Der Dichter antwortet diesem Anblick mit ergebenem Gehorsam. Der zweite Aspekt ist der eines "Beloved Friend", eines geliebten Freundes - nah, persönlich, gleichgestellt. Der Dichter beantwortet diesen Aspekt so, wie es ein Kind tun würde, mit lieblicher Verspieltheit.

Die Herausforderung des Gedichts besteht nun darin, diese beiden Aspekte Gottes in einer verbindenden Vision zu versöhnen. Es ist dies eine Vision, die, einmal erfasst, unser Verstehen sprengt: die Seele inkarniert sich mit einer einzigen Mission - dem Schöpfer durch die Schöpfung zu dienen. Auf der Erde erfährt die Seele die Sehnsucht, die Schöpfung durch den Schöpfer zu lieben. Es ist hier auf der Erde, dass die Seele den Atem ihres geliebten Freundes in allem spürt, und so beginnt das Versteckspiel zwischen dem Sucher und dem Gesuchten, dem Liebenden und dem Geliebten, welches in einem Spiel des Einsseins ("oneness-play") die Welt umspannt. Der Dichter erreicht sein Ziel, indem er vor unserem geistigem Auge vier unterschiedliche Rollenbilder verbindet zu zwei Hauptaspekten Gottes - "Maker", "Lord", "Beloved", "Friend".

In dem Gedicht "A time for everything" ist ein ganz ähnlicher Gebrauch zusammengesetzter Worte zu finden, die hier eine Entwicklung im Gotteserleben des Menschen nachzeichnen:

A TIME FOR EVERYTHING

Morning is the time
For my loving heart
To feed my child-God.

Evening is the time
For my loving heart
To dance with my Beloved-God.

Night is the time
For my loving heart
To confide in my partner-God. [49]

Man mag die verschiedenen Aspekte der Gotteserfahrung zu den verschiedenen Tageszeiten als Stadien sich vertiefender spirituelle Reife sehen. Der Sprecher bewegt sich von anfänglicher Devotion gegenüber Gott, über die Liebe zu Gott zu einem Zustand des Einsseins, in dem Gott als Partner in Anspruch genommen wird. Jedes Stadium wird durch die parallele Satzstruktur in gewissem Maße angekündigt.

Abgesehen von Hopkins und, in geringerem Maße, von Pound und Dickinson war der Gebrauch von Wortverbindungen in der englischsprachigen Literatur bislang nicht sehr verbreitet. Obgleich die englische Sprache Wortketten erlaubt, hat uns die Macht der Gewohnheit mehr zu den diskursiven und erklärenden grammatikalischen Formen gezogen, zum Beispiel "the rim of welkin" anstelle "welkin-rim". Edwin Gerow ist der Ansicht, dass diese Neigung erklärt werden kann durch grundlegende Veränderungen kleinster Einheiten der Komposition. Er argumentiert, dass sich der westliche Literaturgeschmack mit dem Aufkommen der Prosa vom Vers zum ganzen Werk oder Kapitel verschoben hat [50]. Gerow führt weiter aus, dass im Fall der indischen Literatur durch das späte Aufkommen der Prosa die Kürze und Dichtheit der klassischen Sanskritverse aufrechterhalten worden ist:

"The poetry of classical India was microcosmic poetry. The locus of composition was a minimal unit of expression, the stanza, and this is to be understood in a quite radical way as excluding larger units of composition such as the chapter or the work itself."

Die Dichtkunst im klassischen Indien war eine mikrokosmische Dichtkunst. Der Ort der Komposition war die Strophe als kleinste Einheit des Ausdrucks. Und dies ist recht drastisch gemeint, denn größere Einheiten wie das Kapitel oder das Werk selbst waren ausgeschlossen.

Und er fährt fort:

"The tendency is toward the expression of one bewilderingly complex but stringently coherent idea or image within the stanzaic unit. The stanza imposes its form on the poetic content, which is delivered compactly as image, as figure." [51]

Man findet innerhalb der Strophe eine Tendenz hin zum Ausdruck bestürzend vielschichtiger und dennoch geradlinig folgerichtiger Gedanken. Die Strophe zwingt ihre Form dem lyrischen Inhalt auf, welcher uns ganz kompakt als Bild oder Figur geliefert wird.

Möglicherweise hat Sri Chinmoys Verwendung zusammengesetzter Wörter ihren Ursprung in dem Versuch, im Englischen die natürliche Entsprechung des Sanskrit und des Bengali zu finden. Gerow schreibt über Übersetzungen aus dem Sanskrit ins Englische:

"[They] tend to be flabby and prolix precisely where the original displays a tense compactness and is most striking in its beauty."

Sie neigen dazu, schlaff und weitschweifend zu sein, wo das Original eine dichte Kompaktheit aufweist und durch seine Schönheit unser größtes Erstaunen hervorruft.

Dem Bengalischen, Sri Chinmoys Muttersprache, wohnt die zitierte Kompaktheit von sich aus inne. Die Bildung zusammengesetzter Worte findet man häufig, und in der Tat können diese von anderen Satzbildungen grammatikalisch nicht unterschieden werden. Die Worte "swapan sathi" zum Beispiel könnte man interpretierend übersetzen mit dem Ausdruck "Gefährte meiner Träume". Wörtlich aber steht hier "Traumgefährte", eine direkte Verbindung zweier Nomen. Sofern für die bengalischen Worte eine direkte Entsprechung im Englischen gefunden werden kann, wählt Sri Chinmoy für gewöhnlich die Form seiner muttersprachlichen Quelle. Das ermöglicht es ihm dann, mit seinen zusammengesetzten Worten dem Englischen selbst eine höhere Bindungskraft zu geben. Er würde wahrscheinlich zustimmen, dass das Hauptprinzip von Lyrik nicht in grammatikalischen oder logischen Normen liegt, sondern in der direkten Interaktion der Worte. Fenellosa erklärt das in klaren Worten:

"Poetry differs from prose in the concrete colours of its diction. It is not enough for it to furnish a meaning to philosophers. It must appeal to the emotions with the charm of direct impression, flashing through regions where the intellect can only grope." [52]

Lyrik unterscheidet sich von Prosa durch die greifbaren Farben ihrer Diktion. Es genügt der Lyrik nicht, dem Philosophen einen Sinngehalt bereitzustellen. Sie muss mit dem Charme des unmittelbaren Eindrucks die Gefühle ansprechen und durch Regionen hindurchrasen, die der Intellekt nur ertasten kann.

In ganz ähnlichem Sinne führt De Quincey eine Unterscheidung durch zwischen der Literatur der Kraft und der Literatur des Wissens ("the literature of power and the literature of knowledge"). Was wir in Sri Chinmoys Lyrik entdecken ist, dass die Technik zusammengesetzter Nomen, also die Literatur der Kraft oder Vorstellungskraft, das Einführen äußerer Details der Geographie oder persönlicher Umstände so gut wie ausschließt. Sie führt zu einer Art "Landschaftslosigkeit" der Lyrik.

Infolgedessen dreht sich diese Lyrik um die "innere" Form einer Empfindung oder eines Zustandes. Im folgenden Gedicht ist zu beobachten, wie der Dichter eine innere Szene anstelle einer äußeren Szenerie entwirft. Das Bewusstsein, das hier im Mittelpunkt steht, ist anonym und universell:

HE HAS BREATHLESSLY DRUNK

He has breathlessly drunk
All the milk of Heaven-sky.

He now gladly drinks
All the venom of earth-sigh. [53]

Dieses Gedicht beinhaltet zwei Erfahrungen, welche eine zeitliche Abfolge bilden und zugleich als Ursache und Wirkung verdichtet sind. Nach dem emphatischen Beginn ("has breathlessly drunk/All the milk...") ist es das zusammengesetzte Wort am Ende, das uns die bildhafte Bedeutung des Gedichts eröffnet. Es wird uns jetzt klar, dass das Wort "milk", im Zusammenhang mit "Heaven-sky" gelesen, als Symbol all die Süße, Fülle und Schönheit des Himmels in sich vereint. Das erinnert uns an einige Zeilen aus Samuel Taylor Coleridges "Kubla Khan":

For he on honey-dew hath fed
And drunk the milk of Paradise.

Das zusammengesetzte Wort "Heaven-sky" evoziert mehr als das Wort "paradise" die Entrücktheit des Himmels und ebenso etwas von seiner Weite. Was aber das größte Erstaunen des Lesers herausfordert ist die implizit geschilderte Eroberung des Himmels durch das lyrische Ich: all die Milch der Himmel hat er getrunken und die Himmel damit ihrer Schätze beraubt. Wir schlussfolgern, dass dieses lyrische Ich dadurch vergöttlicht wurde, und somit entsteht in uns eine gewaltige Erwartungshaltung, wenn wir nun zur zweiten Aussage des Gedichts vorangehen.

Diese zweite Aussage erscheint uns von Beginn an als parataktische Erweiterung der ersten. Die präzise Entsprechung der Struktur bringt uns dazu, die einzelnen Satzglieder mit denen der ersten Aussage in Beziehung zu setzen. Wir erkennen somit die zum Teil reimenden Wortpaare: "has drunk"/"now drinks"; "breathlessly"/"gladly"; "milk"/"venom"; "Heaven-sky"/"earth-sigh". So wie die Milch ("milk") die höchsten Gaben der Himmel repräsentiert, so steht das Gift ("venom") stellvertretende für die Welt. Diese zweite Metapher ist deutlich schwieriger zu verstehen. Das Bild einer seufzenden und in Unreinheit gefallenen Welt erneuert in unserer Vorstellung die seit Äonen währende Trennung zwischen Himmel und Erde, Licht und Dunkelheit, Gott und Mensch. Und trotzdem stehen wir erstaunt vor dem inneren Zustand des geheimnisvollen lyrischen Ich. Hier ist ein Mensch, der beinahe außerhalb von Himmel und Erde zu stehen scheint. Er hat Milch und Gift getrunken als seien sie eines, mit gleicher Freude und Sicherheit. Aus diesem kurzen Gedicht geht das vielschichtige Bild eines Menschen hervor, der zugleich das Kind ist, das himmlische Milch gierig trinkt, und der Held, der die Bürde der Welt mit heiterer Fügung auf sich nimmt. Es ist eine einzigartig beeindruckende Darstellung eines Menschen auf dem Gipfel seiner spirituellen Entwicklung.

Die doppelte Natur einer Erfahrung wird in diesem Gedicht verdichtet auf einige wenige, sorgfältig gewählte stenographische Pinselstriche. In seinem kennzeichnenden Stil hat der Dichter nicht die Erfahrung in Szene gesetzt, sondern deren Essenz. Bisweilen neigt Sri Chinmoy sogar zu einer noch weitergehenden Verdichtung der Aussage, einem aphoristisch zu nennenden Stil:

REALITIES

Visiting and dreaming
Are the realities of the hope-world.

Crying and obtaining
Are the realities of the prayer-world.

Silencing and becoming
Are the realities of the meditation-world. [54]

Durch solcherlei minimierte Bewegungen im Gedicht liegt umso größeres Gewicht auf den zusammengesetzten Worten, die hier zu wesentlichen Bedeutungsträgern werden. Diese radikale Sparsamkeit der Form wird treffend beschrieben durch eine Bemerkung über Emily Dickinsons Stil, die von ihrer Schwägerin stammt:

"Quick as the electric spark in her intuitions and analyses, she seized the kernel instantly, almost impatient of the fewest words, by which she must make her revelation." [55]

Sie war in ihren Intuitionen und Analysen geschwind wie ein elektrischer Funke. Sie begriff sofort den Kern und harrte beinahe ungeduldig der wenigen Worte, durch die sie sich mitteilen sollte.

Die Dichte der häufig verwendeten Parallelstrukturen, die Neigung zum Komprimieren spirituell komplexer Gedanken in zusammengesetzten Wortschöpfungen, sowie die Inszenierung innerer Erfahrungen mit Hilfe von Analogien versetzen Sri Chinmoy in die Lage, viele der kreativen Möglichkeiten, die die englische Sprache bietet, aufs freieste zu ergründen. Er entwickelt und verfeinert dabei neue und ungewöhnliche Ausdrucksmittel und so geschieht es, dass Ungewöhnliches in ausgewogener Eleganz und Glaubwürdigkeit vor uns steht. Es ist vielleicht zu früh, den Einfluss dieser Formensprache auf die zeitgenössische Literatur einzuschätzen, aber wir können in jedem Fall dem Werk eines Dichters Beifall spenden, der es vermag, sich mit einem tiefen Verständnis der ewigen menschlichen Suche auf immer neue Weise auszudrücken und uns in den Bann seiner Seelenlandschaft und der darin wiederhallenden Erfahrungen zu ziehen.

[48]From the Source to the Source, p.67.
[49]The Goal is Won, p.89.
[50]Gerow, p.71. And the following quotation.
[51]Ibid., p.72. And the following quotation.
[52]The Chinese Written Character as a Medium for Poetry (New York: Arrow Editions, 1936), p.25.
[53] From the Source to the Source, p.334.
[54]The Goal is Won, p.41.
[55]Q. in Brita Lindberg-Seyersted, The Voice of the Poet: Aspects of Style in the Poetry of Emily Dickinson (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1968), p.18.