Struktur und Aufbau Sri Chinmoys Lyrik

...aus..."Simplicity and Power: The Poetry of Sri Chinmoy 1971-1981"

"Language in a human mind is not a list of words with their customary meanings attached, but a single interlocking structure, one's total power of expressing oneself." (Northrop Frye)

"Die Sprache ist keine Liste von Worten im menschlichen Geist, denen bestimmte gewohnheitsbedingte Bedeutungen anhaften, sondern eine einzige gewobene Struktur, unsere umfassende Möglichkeit des Selbstausdrucks."

Wenn man sich mit der Lyrik Sri Chinmoys beschäftigt, begegnet man einem Schriftsteller, der einen ganzen Berg von Werken in einer Sprache hervorgebracht hat, die nicht seine Muttersprache ist. Traditionellerweise würde man diese sprachliche "Obdachlosigkeit", wie George Steiner es genannt hat [1], als einen begrenzenden Faktor betrachten. Wir sind es gewohnt, von einem sprachlichen Neuankömmling einen zögernden, unsicheren Umgang mit Worten und Satzstrukturen zu erwarten. Was wir jedoch in Sri Chinmoy vorfinden, ist im Gegenteil ein Dichter, dem es gelungen ist, dem Englischen eine Energie und Kraft zu verleihen, wie man sie in der neuen Literatur selten findet, und dies möglicherweise gerade wegen dem unausgesprochenen Heraufdrängen seiner bengalischen Muttersprache. Wir sehen ihn die englische Sprache absorbieren, und beobachten, wie er sie dabei im gewissen Sinne neu erschafft und an ihre Ursprünge zurückführt, indem er einzelne Worte im Bewusstsein ihrer unvergleichlichen Kraft verwendet, und viele Redewendungen mit dem untrüglichen Gespür dafür ergründet, dass in der Form und Gestalt der Worte ihre beschwörende Kraft liegt. Er verwirft gewisse Modeerscheinungen, die dazu neigen, den rhetorischen Wert vom Aussagegehalt zu trennen, die weiterhin aphoristische Kurzform in der Lyrik als unnötige Didaktisierung verstehen und konsequent das Abstrakte dem Konkreten nachordnen. Gerade von diesen Elementen macht Sri Chinmoy in seiner Lyrik freien Gebrauch. Als "Sprachschöpfer" wird er einzig davon geleitet, inwieweit ein Wort oder eine Satzstruktur seine innere Vision auszudrücken vermag.

Sri Chinmoy durchlebt aufs eindrücklichste die ursprüngliche expressive Strahlkraft des Englischen und sein lyrischer Stil ist eine Antwort hierauf in Reinform. Mit seiner Neigung zum Kurzgedicht sowie dem häufigen Gebrauch zusammengesetzter Hauptwörter zum Verdichten von Bildern vermeidet er wie instinktiv den überflüssigen Wortreichtum von Schriftstellern, die ausschließlich in ihrer eigenen Muttersprache herangewachsen sind. Das gleiche Phänomen, das uns in der Prosa solcher Mehrsprachigen wie Beckett, Borges und Nabokov begegnet sowie in der Lyrik von Pound, Tagore und St.John Perse, wiederholt sich bei Sri Chinmoy. Man kann in der Tat feststellen, dass sich ein Schriftsteller, dessen Denken nicht nur um eine, sondern um zwei oder mehr Sprachen kreist, in einer privilegierten Lage befindet. Für ihn ist Sprache kein durch Gewohnheiten festgelegtes technisches Mittel, sondern eher eine Ansammlung energetischer Einheiten, derer er sich frei und ungebunden bedienen kann, um die größtmögliche Ausdruckskraft zu erreichen.

Wir preisen Geoffrey Chaucer als den englischsprachigen Dichter, der sich am allermeisten an Worten erfreuen konnte und der, wie es scheint, jeder einzelnen Seite Frische und Einfachheit einhauchte. Im gleichen Sinne habe ich in Sri Chinmoy einen "ursprünglichen" Dichter der Sprache gefunden, einen Meister der Sprache in jeder Hinsicht und bei alledem jemanden, der sich an ihr erquickt wie an einer Neuentdeckung.

Die Häufigkeit rhetorischer Figuren in Sri Chinmoys Lyrik stellt den Kritiker vor eine Herausforderung, denn für gewöhnlich setzt die moderne Literaturkritik rhetorische Figuren gleich mit einer unnötigen Inflation der Sprache, einer Bewegung weg von der biegsamen gesprochenen Sprache hin zu einer künstlichen, steifen, mechanischen Form. Rhetorik wird als Eigenart der Altvorderen betrachtet, als verkünstelte Art des Denkens, welche teilweise in den Werken von Shakespeare und Donne weiterlebte, bis hin zu Pope und Milton, welche aber spätestens von den Dichtern der romantischen Epoche abgelegt wurde. Selbst so herausragende Gelehrte der Rhetorik wie C.M.Brown und Brian Vickers [2] werben um unsere wohlwollende Anerkennung einer dichterischen Modeerscheinung, die weithin als ein Relikt der Vergangenheit betrachtet wird.

Was sollen wir also anfangen mit einem Dichter wie Sri Chinmoy, der instinktiv Parallelismen benutzt um seinen Gemütsbewegungen Nachdruck zu verleihen, der immer wieder die Inversion wegen ihrer Eleganz verwendet, und der sich mit Leichtigkeit in ganzen Listen von Qualitäten und Attributen bewegt? Die rhetorische Textur von Sri Chinmoys Versen ist offenkundig. Dies liegt aber meines Erachtens nicht daran, dass der Dichter es sich zur Aufgabe gemacht hätte, für die englische Lyrik den rednerhaften Stil der antiken griechischen Dichter zurückzuerobern, sondern vielmehr daran, dass der rhetorische Ausdruck in Wahrheit unter bestimmten emotionalen und spirituellen Umständen die natürliche Ausdrucksform des Menschen ist.

[1]George Steiner, Extraterritorial: Papers on Literature and the Language Revolution (London: Faber and Faber, 1972), p.4.
[2]C M.Bowra, Heroic Poetry (New York: St. Martin's Press, 1966) and Brian Vickers, Classical Rhetoric in English Poetry (Edinburgh: Macmillan, 1970).