Sri Chinmoys Arbeit mit zusammengesetzten Begriffen III

...aus..."Simplicity and Power: The Poetry of Sri Chinmoy 1971-1981"

Als Sprachschöpfer liegt Sri Chinmoys Beitrag vor allem im spirituellen Bereich, in der Ausleuchtung der Zustände, Gemütslagen und Enthüllungen, die den Menschen in seiner Suche nach Gott erwarten. Eine kleine Untersuchung der Wortketten und ihre Unterscheidung nach Kategorien mag uns helfen, die sprachschöpfende Kraft dieses Dichters näher zu verstehen.

Wir treffen im Werk Sri Chinmoys vor allem auf Wortverbindungen, in denen eine geläufige spirituelle Eigenschaft mit einem weiteren spirituellen Attribut verknüpft ist oder mit einem allgemeinen Attribut der Natur: "perfection-love", "oneness-might", "acceptance-joy", "aspiration-flame", "hope-bud", "vastness-shower", "beauty-rays". Häufig sind auch Wortverbindungen, in denen Emotionen durch ihre Unterordnung unter ein starkes und ganz konkretes Hauptwort beleuchtet werden: "terror-rod", "frustration-bark", "confusion-knot", "division-pipe", "gratitude-gong". Sri Chinmoy verwendet seine zusammengesetzten Hauptwörter auch, um eine bestimmte menschliche Eigenschaft mit der Welt oder mit Abstraktem in Beziehung zu setzen: "mother-earth", "brother-world", "sister-moon", "faith-friend"; "doubt-foe". Der Dichter liebt es besonders, etwas von der nicht in Worte zu fassenden Natur Gottes zu enthüllen: "Saviour-Friend", „Maker-Lord“, "God-Fire", "Friend-Love", "Silence-God". Eine weitere Anwendung besteht darin, aus Objekten, denen per se keine spirituelle Bedeutung innewohnt, etwas spirituell Aussagekräftiges zu schmieden: "nectar-sea", "dream-boat", "venom-knife", "earth-clay", "titan-lance", "body-goal", "ladder-height", "circus-delight", "breath-tower".

Die Ressourcen des Dichters greifen noch viel weiter aus, als es diese kurze Untersuchung zeigen kann. Das Erschaffen von Wortverbindungen ist dem Wesen nach ein Spiel mit Analogien und wie alle spirituellen Dichter muss auch Sri Chinmoy zu den einfachsten Vergleichen des Körperlichen, des Chemischen, des Biologischen und des Menschlichen greifen, um auszudrücken, was er ausdrücken möchte. Sein so umfassendes Verständnis der Welt eröffnet dem Dichter dabei eine höchst außergewöhnliche Fülle und Tragkraft der Bilder. Wir sehen ihn die Natur betrachten - den Regen, das Meer, einen winzigen Wassertropfen, die geheimnisvolle Quelle eines Flusses, die Blumen, die Rose, den Lotus, die Knospe und die Blüte, die Vögel mit ihrem lieblichen Flug und ihrer Heimkehr ins Nest, die Sonne und Sonnenstrahlen, Feuer und Eis, Donner und Blitz. Wir sehen, wie er Aspekte des Tagesablaufs und der Jahreszeiten heranzieht und dann wieder Begriffe der Kosmologie, sowie Begriffe von Maß und Definition. Wir begegnen einer Fülle von Menschenhand erschaffener Dinge: Tür, Turm, Palast, Wagen, Spielzeug, Puppe. Und wir ergründen die ganze Spanne menschlichen Tuns: seufzen, lächeln, murren, tanzen, umarmen, spielen, laufen, singen, schlafen. In der Miniaturwelt dieser zusammengesetzten Worte scheint das ganze Leben eingefangen zu sein, ein Spiel der Analogien in größtmöglicher Verdichtung und Intensität. Das zusammengesetzte Wort ist eine Hommage an die Kraft der Imagination, welche die Vielschichtigkeit jedes einzelnen Gedankens zum Leben erweckt. Der Dichter wählt in seinen zusammengesetzten Wortketten eine Form, die die panoptische Schau ermöglicht, so wie er selbst die panoptische Schau besitzt.

Gerard Manley Hopkins Kritiker haben sahen in seiner Verwendung zusammengesetzter Wörter

"a passionate emotion which seems to try to utter all its words in one" [43]

eine übersteigerte Emotionalität, die alles in einem einzigen Wort auszudrücken versucht.

Zitat G.M.Hopkins:

Million-fueled, nature's bonfire burns on.
But quench her bonniest, dearest to her, her clearest-selved spark
Man, how fast his firedint, his mark on mind, is gone! [44]

In diesen wenigen Zeilen werden einige verschiedene Arten angehängter Eigenschaftswörter verwendet: Nomen plus Verbum ("million-fueled"), Adjektiv plus Verb ("clearest-selved") sowie das zusammengesetzte Nomen ("firedint"). In diesem letzten Beispiel hat Hopkins zwei Worte zusammengefügt ohne einen Bindestrich zu verwenden, ein Kunstgriff, der die verschiedenartigen Wurzeln der beiden Worte wagemutig verschleiert. Die so verbundenen, dem archaischen Englisch entlehnten Worte ziehen unsere erstaunte Aufmerksamkeit auf sich. W.H.Gardner kommentiert Hopkins wortschöpfendes Vorgehen folgendermaßen:

The coining of words by a poet like Hopkins is sometimes the expression of primitive consciousness and sensibility and sometimes of a learned sophistication.[45]

Das Prägen von Worten durch einen Dichter wie Hopkins ist manchmal der Ausdruck rudimentären Bewusstseins und rudimentärer Vernunft, und manchmal Ausdruck hochgebildeter Rafinesse.

Rudimentär ("primitive") in dem Sinne, dass der Dichter zu den Quellen der Dichtkunst als dem Zusammenfügen von Bildern zurückkehrt. Und zugleich hoch raffiniert ("sophisticated"), weil die Bilder von einem Dichter verwendet werden, der sich der Tatsache voll bewusst ist, dass er aus archaischen Ausdrücken ganz und gar neue entstehen lässt.

Es ist verblüffend, wie Bilder, die aus solchen zusammengesetzten Hauptwörtern bestehen, die Form winziger Galaxien annehmen. Sie umreißen einen gut verständlichen Prozess oder eine gut verständliche Bewegung, selbst wenn sie allein, ohne eine herkömmliche Satzstruktur auftreten.

Machen wir Sri Chinmoys Wortschöpfung „welkin-rim“ zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung. Beim Lesen überkommt uns sofort die Assoziation des leicht gekrümmten äußeren Randes des Firmaments, des Wohnortes der Götter. Wie in dem genannten Beispiel von Hopkins ("firedint") sind beide Worte dem alten Englisch entlehnt, wobei Sri Chinmoy sich entschließt, die Trennung durch den Strich beizubehalten. In der ethymologischen Nähe der beiden Worte liegt eine tiefere Bedeutung. "Welkin" bedeutete einst Wolke, "rim" stand für einen Landstrich. Nebeneinandergestellt erzeugen diese Worte das Bild des über die Erde Hinausgehens, hinauf zum Himmel oder den Sternen. Gerade die Verwendung des zusammengesetzten Nomens steht hier als eine Art stillschweigendes Zeugnis dafür, dass der Dichter mittels seiner Imaginationstiefe die Sprache transzendiert hat: er eröffnet dem Leser den Zugang zu einem "Jenseits". Der Titel des Gedichts spricht diese Einladung ganz ausdrücklich aus:

BEYOND THE WELKIN-RIM

Are you dying for a dream?
Then quickly come to me.
Beyond the welkin-rim
I shall set your vision free. [46]

Die Geste dieses Gedichts ist ganz die Geste des Dichters. Über die Dichter an und für sich schreibt Ralph Waldo Emerson:

"They are free and they make free" [47].

Sie sind frei und befreien andere.

Er beschreibt die Dichter als "liberating gods" (Befreiung schenkende Götter), die unserer Vorstellungskraft Flügel verleihen und neue Visionen schenken. Der Pfad des Dichters Sri Chinmoy führt hier "beyond the welkin-rim" und darin fängt er genau diese befreiende Note der Dichtkunst ein.

[43]Charles Williams in W H Gardner, Gerard Manley Hopkins (1844-1889), Vol. I (London: Oxford University Press, 1969), p.125.
[44]W.H.Gardner, ed., The Poems of Gerard Manley Hopkins (London: Oxford University Press, 1970). "That Nature is a Heraclitean Fire and of the comfort of the Resurrection" p. 105.
[45]Gardner, Gerard Manley Hopkins (1844-1889), p. 118.
[46]From the Source to the Source, p. 158.
[47]Emerson, p.221.