Die Bedeutung von Rhetorik

...aus..."Simplicity and Power: The Poetry of Sri Chinmoy 1971-1981"

Um die im vorausgehenden Abschnitt entwickelte Theorie weiter zu untermauern, vergegenwärtigen wir uns, zu welcher Blüte sich in der klassischen griechischen und römischen Dichtkunst die Rhetorik einst entwickelt hatte. E.R.Curtius schreibt dazu:

"Rhetoric signifies "the craft of speech"; hence, according to its basic meaning, it teaches how to construct a discourse artistically. In the course of time this seminal idea became a science, an art, an ideal of life, and indeed a pillar of antique culture" [3]

Rhetorik bedeutet "die Kunst des Redens", lehrt also zunächst einmal den kunstfertigen Aufbau eines Diskurses. Im Lauf der Zeit wurde aus dieser Grundidee eine Wissenschaft, eine Kunst, ein Lebensideal und in der Tat eine Säule der antiken Kultur.

H.I.Marrou zeichnet in "A History of Education in Antiquity" ein ähnliches Bild:

"Learning to speak properly meant learning to think properly, and even to live properly: in the eyes of the Ancients eloquence had a truly human value transcending any practical applications that might develop as a result of historical circumstances; it was the one means for handing on everything that made man man, the whole cultural heritage that distinguished civilised men from barbarians. This idea underlies all Greek thought." [4]

Die richtige Art des Redens zu erlernen bedeutete zugleich, richtig denken und sogar richtig leben zu lernen: in den Augen der Altvorderen besaß die Beredsamkeit wahrhaft menschlichen Wert, der über praktische Techniken, welche sich als Ergebnis historischer Umstände entwickeln mochten, weit hinausging. Es war das Mittel schlechthin, um all das weiterzugeben, was den Menschen zum Menschen machte, das ganze kulturelle Erbe, das den zivilisierten Menschen vom Barbaren unterschied. Diese Idee liegt allem griechischen Denken zugrunde.

In der klassischen Epoche finden wir die Rhetorik auf dem Gipfel menschlicher Kunst vor. Sie ist eng verbunden mit der Dichtkunst und der Philosophie, so dass Cicero die drei Ziele der öffentlichen Rede definierte als docere, delectare, movere – belehren, erfreuen und bewegen. Cicero erklärt dies, indem er sagt:

"To instruct is of necessity, to please is for interest, to move is for victory." [5]

Es ist notwendig zu belehren, interessant zu erfreuen, und andere zu bewegen führt zum Sieg.

Um zu belehren, zu erfreuen und zu bewegen mussten geeignete Stile und Genres erfunden werden und die Fähigkeit der Sprache, sich über die Materie zu erheben, also das ganze Gebiet des gehobenen Stils in der Lyrik, erlangte größte Bedeutung. Hieraus resultierte eine ausufernde Ausarbeitung und Klassifikation von Ausschmückungen, Figuren, Stilebenen und Genre-Ordnungen. Trotz der Kritik, welche diese extreme technische Ausrichtung später hervorrief, fußte sie doch auf der selbstverständlichen und fundamentalen Überzeugung, dass der rhetorische Prozess die grundlegenden Redeformen des Menschen in Situationen verschiedener Dramatik und emotionalen Gehalts wirkungsvoll zu reproduzieren vermochte.

"Jede Literatur", schreibt Steiner, "ist Sprache im Zustand einer spezifischen Verwendung" [6]. Ob diese spezifische Verwendung eine Sprache der Lobpreisung oder des Zorns, der Freude oder der Verzweiflung war, die Schriftsteller der klassischen Epoche fanden, dass der musterhafte Ausdruck der Rhetorik den entsprechenden Zustand beim Zuhörer hervorrufen konnte. „Die Regungen des Gemüts werden entflammt durch die Funken der Rede“, schrieb Juan Luis Vives im 16.Jahrhundert [7]. Rhetorische Figuren versorgten die Schriftsteller mit

"stylisations or records of man's natural emotional behaviour as expressed in language, which when properly applied form the best stylistic means of re-creating the details of human emotion in literature." [8]

Stilisierungen oder Beschreibungen des natürlichen emotionalen Verhaltens des Menschen, wie es in der Sprache Ausdruck findet. Diese (rhetorischen Figuren) bilden, wenn man sie richtig einsetzt, das beste Stilmittel zur Nachschöpfung der menschlichen Gemütsregungen in der Literatur.

Betrachtet man es in diesem Licht so ist Rhetorik in der Tat formelhaft, weil sie handwerklich grundlegende symmetrische und genau taxierte Systeme enthält. Aber sie kann niemals eine reine Maschine sein, solange sie ihre enge Bindung an das natürliche rhetorische Element behält, welches in jeder gesprochenen Sprache existiert. Wie passend eine rhetorische Figur ist, argumentiert Gerald Else,

"is not to be tested so much, therefore, by formal stylistic criteria as by the ear -of the spectator or reader, who says to himself, "Yes, this is the way men do talk when they are angry or downcast or full of admiration; I have heard things said just that way many times." [9]

ermittelt man deshalb nicht so sehr über formale stilistische Merkmale, sondern über das Ohr – das Ohr des Zuhörers oder Lesers, der zu sich selbst sagt: "Ja, so reden die Menschen, wenn sie zornig sind oder niedergeschlagen oder voller Bewunderung, ich habe diese Art zu reden schon oft gehört!"

[3]Q. by Vickers, p.15.
[4]Ibid., p.23.
[5]Ibid., p.25.
[6]Op. cit., p.126
[7]Q. by Vickers, p.83
[8] Ibid., p.105.
[9]Else, Aristotle's Poetics: The Argument (1963). Q. by Vickers, p.95.