Sri Chinmoys Arbeit mit zusammengesetzten Begriffen II

...aus..."Simplicity and Power: The Poetry of Sri Chinmoy 1971-1981"

Die Anspielung an das Symbolhafte ist hilfreich. Ezra Pound behauptete bereits, die chinesische Sprache sei vor allem aus Symbolzeichen konstruiert, die wiederum aus zwei Piktogrammen bestünden. Obwohl nach Hugh Kenner [38] diese Art der Zeichenbildung höchstens zehn Prozent der Schriftsprache ausmachen, ist Pounds Anerkennung der Kraft der Symbole bemerkenswert. Die leuchtende Aussagefähigkeit zusammengesetzter Zeichen (oder Worte) war ein direktes Ergebnis der Bedeutungsübertragung von einem Wort auf das andere, eine so schnelle Wendung, dass sie uns als bewegtes Bild erscheint. In den Worten von Hugh Kenner war es Pounds Ziel,

"to make happenings run through words, not to join static categories with copulae." [39]

Ereignisse durch Worte in Bewegung zu bringen, statt statische Kategorien mit einander zu verknüpfen.

Symbole ermöglichten es ihm, gleichzeitig einen Prozess zu beschreiben, diesen exakt zu umreißen und alles mit Bedeutungsfülle anzureichern. Pound erhielt die Anregung dazu aus dem Studium der Werke Fenellosas. Fenellosa sah in der chinesischen Methode der Verbindung von Symbolen ein Hauptmittel zur Erweiterung der Sprache durch das Formen neuer Wörter aus bereits bestehenden. So ist zum Beispiel das chinesische Adjektiv, das dem englischen Wort "bright" (hell) entspricht, eine Verbindung der beiden Symbole für "Sonne" und "Mond". Das Zusammenspiel dieser beiden Bilder eröffnet uns die greifbare Erfahrung von Helligkeit ("brightness"), ein echter Fortschritt nicht nur was die Entwicklung der Sprache betrifft, sondern auch hinsichtlich der Bewusstseins- oder Verständnisbildung des Menschen.

Ich bin der Überzeugung, dass Sri Chinmoys zusammengesetzte Hauptwörter in ganz ähnlicher Weise dazu dienen, aus älteren traditionelleren Formen eine neue Formensprache zu schaffen, und dass diese neue Formensprache ein ganz neues Konzept, eine dauerhafte Erweiterung von Wortbedeutungen bedeutet. Betrachten wir zum Beispiel das folgende Gedicht:

WHEN MY SONG IS SUNG

Lord, when my song is sung
What shall I do?
"My child, do not delay.
Cry for your new dawn-dew." [40]

Der "leuchtende Kern" des Gedichts ist das zusammengesetzte Hauptwort "dawn-dew". Es stellt den Höhe- und Schlusspunkt dar in der Antwort Gottes auf die Frage des Dichters. Aber wie dürfen wir diese beiden Nomen im spirituellen Kontext verstehen? Dem Wort „dawn“ wohnt auf der Bildebene eine bestimmte Logik inne: das Ende der Nacht, das Ende eines Liedes weicht der Dämmerung eines neuen Tages, einem neuen Lied. Im natürlichen Ablauf von Ereignissen gibt es keinen wirklichen Endpunkt. Jedes Enden ist der Beginn von etwas Neuem, einer neuen Dämmerung. Was uns in diesem zusammengesetzten Hauptwort überrascht, ist das beigeordnete "dew". Wir kennen es als Tau, der sich in der Nacht bildet um dann von den warmen Strahlen der Morgensonne aufgelöst zu werden. Im Zusammenhang der Bibel lesen wir darin möglicherweise ein Anzeichen der Gnade Gottes. Traditionellerweise verbinden wir damit auch die Vorstellung von Reinheit. Indem wir so über "dew" nachdenken, werden wir gewahr, dass es an das Wort "dawn" angekettet ist und damit in seinem Bedeutungsradius eingeschränkt. Liest man die beiden Worte zusammen, so wohnt ihnen eine undefinierbare Magie inne. Die erste Ebene, auf die wir angesprochen werden ist kinästhetisch: wir machen die Erfahrung der Kühle der Nacht und zugleich der ersten Sonnenstrahlen, ähnlich einem Neugeborenen, das in die Sonnen blinzelt. Auf der mehr symbolischen Ebene setzt die beginnende Dämmerung Energie frei, gebiert neue Hoffnung, und diese wird ergänzt durch den inneren Tau ("dew") von Reinheit und Frische. Liest man schließlich den vollständigen Satz "Cry for your new dawn-dew" so ist es die subtile Wechselwirkung von "cry" und "dawn-dew", die uns berührt. Der Dichter gibt uns zu verstehen, dass dieser Tau ("dew") eine Metapher ist für unsere Tränen des Höherstrebens, ja, dass das Höherstreben selbst eine neue Morgendämmerung in unserem Bewusstsein bedeutet.

"What do we understand, then, by the poetic image?"

"Was verstehen wir in der Lyrik unter einem Bild?"

fragt C.Day Lewis [41] und antwortet

"In its simplest terms, it is a picture made out of words"

Ganz einfach ausgedrückt, ist es ein Bild aus Worten.

"Dawn" plus "dew": eine erfinderische Wortkette, die zwei Bedeutungssphären geschwind einfängt und zueinander in Beziehung setzt, eine Korona von Bedeutungen, wie Hugh Kenner es nennt. Die Koronen der beiden Worte verschmelzen und bilden die neue Form "dawn-dew", welche zu keiner der beiden Sphären gehört und einen neuen, eigenen Bedeutungsraum erschafft. Wenn wir im zügigen Lesen des Gedichts auf diese Wortverbindung stoßen, erfahren wir freudig, wie wir Zeugen einer Erweiterung von Sprache geworden sind und mehr noch, Zeugen einer Erweiterung von Bewusstsein. Der Dichter ist, um Emersons Worte zu verwenden, zum Sprachschöpfer geworden, der den Dingen den ihnen eigenen, innewohnenden Namen gibt:

"Naming things sometimes after their appearance, sometimes after their essence, and giving to every one its own name and not another's, thereby rejoicing the intellect, which delights in attachment or boundary. The poets made all the words[...] Though the origin of most of our words is forgotten, each word was at first a stroke of genius, and obtained currency, because for the moment it symbolised the world to the first speaker and to the hearer. The etymologist finds the deadest word to have been once a brilliant picture[...] The poet names the thing because he sees it, or comes one step nearer to it than any other. This expression, or naming, is not art, but a second nature, grown out of the first, as a leaf out of a tree."[42]

Die Dichter benennen die Dinge mal nach ihrem Äußeren, mal nach ihrem Innersten, und geben jedem Ding den ihm eigenen Namen und keinen anderen. Das erfreut den Intellekt, der im Verhaftetsein und in der Begrenzung Genugtuung findet. Die Dichter haben alle Worte geschaffen[...] Obgleich der Ursprung der meisten unserer Wörter in Vergessenheit geraten ist, war doch jedes Wort am Anfang ein Geniestreich, und erhielt seinen Wert in dem Moment, in dem es für den ersten Sprecher und den ersten Hörer die Welt symbolisierte. Der Etymologe findet im Anfang des leblosesten Wortes ein brilliantes Bild[...] Der Dichter benennt das Ding, weil er es erkennt, oder weil er ihm einen Schritt näher kommt als jeder andere Mensch. Dieses sich Ausdrücken, oder dieses Benennen, ist keine Kunst, sondern eine zweite Natur, die aus unserer ersten Natur heraus entstanden ist wie das Blatt aus dem Baum.

[38]The Pound Era, p.227.
[39]Ibid., p.290.
[40]From the Source to the Source, p.267.
[41]The Poetic Image (London: Jonathan Cape, 1958), p. 18.
[42]Essays (London: Dent, 1976), p.215.